Neue digitale Wege
Der Bildungsort Schule gilt als wichtige Institution, um frühzeitig Medien- und Digitalkompetenzen zu vermitteln, die angesichts der Medienvielfalt und der ständigen Präsenz in allen Lebensbereichen erforderlich sind (vgl. IzpB Heft 3 / 2020 Digitalisierung, S. 21). Ob man Kompetenzen tatsächlich "vermitteln" kann - oder Kompetenzen etwas sind, was man "erwerben" muss - sei an dieser Stelle einmal dahingestellt ...
Auf die hohe Bedeutung von Medien- und Digitalkompetenzen einigte sich die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrer Handlungsstrategie "Bildung in der digitalen Welt" im Dezember 2016 (veröffentlicht in der Fassung vom Dezember 2017). Sie vergleicht darin die Auseinandersetzung mit Themen der Digitalität und die überlegte Anwendung digitaler Medien in ihrer Bedeutung mit der Fertigkeit des Lesens und Schreibens. Insbesondere bei digitalen Neuerungen ist für Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesse aber der typische "Hype cyclus" (siehe Bild oben rechts) sowie Amaras Gesetz zu beachten, nach dem wir dazu neigen, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige Wirkung zu unterschätzen.
Der KMK-Beschluss von 2017 formuliert das Ziel, dass es den Schüler:innen an weiterführenden Schulen bis 2021 möglich sein muss, jederzeit digitale Lernumgebungen und das Internet zu nutzen. Um das zu verwirklichen, wurde der "Digitalpakt Schulen" verabschiedet. Mit diesem "unterstützt der Bund die Länder und Gemeinden bei Investitionen in die digitale Bildungsinfrastruktur. Ziele des Digitalpaktes sind der flächendeckende Aufbau einer zeitgemäßen digitalen Bildungsinfrastruktur unter dem Primat der Pädagogik." (vgl. Was ist der DigitalPakt Schule? - BMBF DigitalPakt Schule).
Von den Schulen sind dafür bildungsgangspezifische Medienentwicklungspläne zu entwickeln, die Ideen und Visionen enthalten, wie sich der Unterricht durch neu angeschaffte Medien, Infrastruktur, Hardware verändern kann und soll! Möglichst konkret ist zu erläutern: Wie soll das Erreichte konkret aussehen? Wie soll es erreicht werden? Die Organisation und Moderation dieses Prozesses obliegt den Medienbeauftragten der Schulen, die vom SEFO (Die Institution für Schulentwicklung und Fortbildung in Bremerhaven) unterstützt werden.
Dabei ist das "Primat der Pädagogik" ist besonders bedeutsam, denn oft wird Digitalisierung in der Schule eben doch vor allem als technologische Entwicklung betrachtet. Doch die Lernwirksamkeit digitaler Unterrichtszenarien hängt sehr stark von der jeweiligen Umsetzung und Einbettung ab. Was aber genau "digitaler Unterricht" bedeutet und wie viel Digitalisierung des Unterrichts sinnvoll ist, muss noch geklärt werden. Die Debatte darüber verläuft zwischen Apokalypse (etwa Manfred Spitzer: Digitale Demenz) und Euphorie (etwa Jörg Dräger: Die digitale Bildungsrevolution: Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können). Auch viele Lehrkräfte werden eher als "vorsichtige Digitalisierer" beschrieben und äußern sich - zumindest vor Corona - zurückhaltend zum digitalen Lernen (vgl. Zeitschrift Pädagogische Führung PädF, 6 / 2018, S. 222).
Professor Klaus Zierer meint dazu: "Digitale Medien können Lernen ebenso wenig revolutionieren wie verhindern. Und ein schlechter Unterricht wird durch digitale Medien nicht zu einem guten Unterricht, auch wenn ein guter Unterricht vom Einsatz digitaler Medien profitieren kann. Denn die Voraussetzungen des Lernens haben sich verändert. Aufmerksamkeitsspannen gehen zurück und damit auch die Fähigkeit, komplexere Texte zu lesen. Diese Voraussetzungen zu kennen und darauf angemessen zu reagieren, das war, ist und wird auch in Zukunft eine der zentralen Aufgaben von Lehrkräften sein!" (vgl. Weser-Kurier 15.11.19, S. 10 Interview mit Prof. Zierer)
Um die Debatte in die Mitte zurückzuholen und das Digitale in die DNA von Schulen, Lehrenden und Lernenden, hier ein Versuch, "Neue digitale Wege" zu umreißen:
Auf "neuen digitalen Wegen",
· unterstützen digitale Medien Lehr- und Lernprozesse und entlasten Lehrpersonen,
· entwickeln Lernende eine grundlegende Systematik im Umgang mit neuen Medien und bauen so Medienkompetenz im Sinne des Dagstuhl-Dreiecks auf,
· bereiten sich die Lernenden auf die Arbeitswelt der Zukunft vor und können die 4 Kompetenzen erwerben, die ein Mensch im 21. Jahrhundert braucht, um in der Gesellschaft zu bestehen und diese mitzugestalten: Kreativität, Kritisches Denken, Kollaboration, Kommunikation. Eine Erweiterung des 4-K-Modells um die Aspekte Responsibility, Productivity und Initiative halten wir für sinnvoll!
Natürlich hat die Corona-Pandemie der Digitalisierung von Schulen und Unterricht einen enormen Schub verliehen. Schließlich galt es, Unterricht ständig zwischen Präsenz-, Hybrid und Distanzphasen nutzbringend zu gestalten - das wäre ohne digitale Medien nicht möglich gewesen! Wenn von diesem explosionsartigen Digitalisierungsschub auch nach Corona noch etwas Drive übrig bleiben soll, könnte dieser durch die Maxime geprägt sein:
"Plane den Unterricht stets so, dass er mit möglichst wenig Änderungen sowohl im Präsenz- als auch im reinen Distanzunterricht oder im Blended Learning lernförderlich umsetzbar ist."
Das Aufkommen der KI fordert das etablierte Bildungssystem dabei elementar heraus. Im Umgang mit KI sollte sich Schule auf eine Art Kodex stützen, der in etwa wie folgt lauten könnte:
"Wir nutzen KI! Aber nicht um das eigene Denken zu ersetzen, sondern um es
- anzuregen (z. B. Ideengenerierung durch KI)
- zu unterstützen (z. B. Nutzung von Informationen auf unterschiedlichen Sprachniveaus)
- zu entlasten (z. B. bei geistigen Routineaufgaben)."
Damit stellt sich die Frage, was Lernende (und Lehpersonen auch) über, mit, durch und was sie trotz bzw. ohne KI lernen sollen. Für solche Fragen haben wir an den KLA eine Arbeitsgruppe KI gegründet und veranstalten für alle Kolleginnen und Kollegen ein regelmäßiges "KI-Cafe" zum Austauschen, Informieren, Ausprobieren, Weiterentwickeln, Teilen...
Zusammen mit den Autoren Stefan Hofer-Krucker Valderrama und Remy Kaufmann glauben wir als Pioniere neuer digitaler Wege an die Erreichbarkeit des "Plateaus der Produktivität" (siehe Bild oben rechts). "Wer heute analog unterrichtet oder digitale Medien lediglich dezent einsetzt, der kann mit einer Lerngruppe weiterhin viel erreichen. Wer aber darüber hinaus digitale Medien in umfassenderem Sinne für die Gestaltung und Durchführung von Lehr- und Lernprozessen nutzt, dem eröffnet sich einerseits eine Vielfalt an Möglichkeiten, den Unterricht motivierender, zeitgemäßer, attraktiver und abwechslungsreicher zu gestalten. Andererseits können dabei die genannten vier zentralen Kompetenzen kontinuierlich und gezielt mitgefördert werden. Den Einsatz von digitalen Medien verstehen wir daher grundsätzlich als Chance." (Stefan Hofer-Krucker Valderrama, Remy Kaufmann (2019): Neue Medien - Neuer Unterricht?: S. 24, Bern).
Denkanstöße: Wer gestaltet Medienentwicklungspläne wie und wozu aus? Wer übernimmt welche Verantwortung für und bei der Umsetzung dieser Pläne? Wie können Lehrkräfte eine experimentelle Haltung und Fehlerkultur zur Digitalisierung gewinnen und so eine "neue Rolle" finden? Wie lässt sich das "Plateau der Produktivität" im Bereich Digitale Bildung erreichen? Wie lassen sich Erfahrungen mit digitalen Medien im Unterricht evaluieren und teilen? Wie verändern wir die Aufgaben- und Prüfungskultur KI-konform? Wie lassen sich nützliche Entdeckungen skalieren - schulweit, landesweit, bundesweit?